In 8 tagen verlasse ich meine geliebte Arktis schon wieder und mache mich gleich nach der Landung in Montreal gen New York vom Acker, vielleicht schaffe ich es ja auch in
die nicht so touristischen Gebiete der Stadt. Ich freue mich schon wie verrueckt, auch wenn mich der Temperatur- und Groessenunterschied bestimmt in kurzzeitige Panik versetzen werden.
Saqiyuq - 7. Jun, 17:09
Nahezu 70% der Nunavummiut (Inuiteinwohner von Nunavut) geben als Muttersprache Inuktitut an.
Ist es da nicht seltsam, dass die frankophonen Einwohner ihre Kinder durchgehend franzoesischsprachig unterrichten lassen koennen (in l'ecole des deux soleils), waehrend Inuktitut in den Schulen des Territoriums nur bis zur dritten Klasse Unterrichtssprache ist, bevor es dann von Englisch abgeloest wird?
Inuktitut ist derzeit eine der wenigen Ureinwohnersprachen Kanadas, die nicht unmittelbar vom Aussterben bedroht ist. Aber wie wird es in 15 Jahren aussehen, wenn die mit englischem Fernsehen und Internet aufgewachsene Generation, das Arbeitsleben betritt? Es scheint zweifelhaft, ob die Vereinbarung, dass 2020 Inuktitut die Arbeitssprache des oeffentlichen Dienstes sein wird bzw. Inuit repraesentativ vertreten sind (Art. 23 des Nunavut Agreements und Inhalt von Pinasuaqtavut/Bathurst Mandate), in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann.
Tunngavik, als die Organisation der Inuit in Nunavut, arbeitet daran, mit der Bundesregierung ueber die Implementation des Vertrages zu verhandeln und bezueglich der Erziehungspolitik der Nunavutregierung zu verdeutlichen, dass kulturell basierte Erziehung und Sprachunterricht finanzierbar und erfolgreich umsetzbar sind.
Und da ist auch schon mein Grossprojekt bei NTI und vielleicht ein Diplomarbeitsthema (Ich weiss, das wechselt und wechselt und wechselt): Ich untersuche Schulsysteme in anderen entlegenen Gebieten Kanadas bezueglich ihrer Bemuehungen, Ureinwohnersprache und -kultur zu erhalten und stelle erfolgreiche Ansaetze dem der Nunavutregierung, der bisher nicht viel enthaelt ausser: zu teuer, Mathe in Inuktitut funktioniert nicht, macht keinen Sinn, da Englisch wichtiger ist, gegenueber. Das wird dann die Basis des NTI-Lobbyings fuer ein neues, angemessenes und erfolgversprechendes Bildungssystem werden.
Saqiyuq - 7. Jun, 16:09
Ich esse gerne Rohkost, ich esse gerne Fleisch. Ich finde, dass meine Art zu essen, auch zur Rohkost gezählt werden sollte.
Ich gehöre wohl zu der Minderheit von Frauen, die richtig gerne Fleisch isst. Ich mag mein Steak blutig, auch wenn ich manchmal aus Rücksicht auf die (Fast-) VegetarierInnnen in der Runde "medium" antworte, wenn ich gefragt werde, wie den mein Fleisch zubereitet werden darf. Ich mag Lamm und Hammel, alles was nach etwas schmeckt. Trockenes, geschmackloses Hähnchenfleisch ist dagegen kaum meine bevorzugte Wahl. Manche Leute schütteln sich, wenn sie herausfinden, dass ich mein Eierwasser praktisch in dem Moment abschütte, in dem es zu kochen beginnt.
Als Kind hatte ich auch keine Probleme damit, die Kaninchen meines Opas erst wochenlang zu fuettern und zu streicheln und dann Ostern zu essen. Genauso wenig konnte mich der Vater einer Freundin abschrecken, der uns in Marokko ueber den Fleischsuk geführt hat und uns das Huhn hat aussuchen lassen, das später in der Tajine zubereitet wurde. Nicht einmal die herumliegenden Köpfe der Ziegen konnten meine Vorfreude schmälern. Ich probiere alles, was man mir vorsetzt. Ich habe geweint, als ich meinen ersten Wal gesehen habe, so schön, so majestätisch, so elegant zog er an unserem Boot vorbei. Das hat mich jedoch nicht davon abgehalten, Narwalfleisch zu probieren. Ein bisschen gummiartig die Haut, aber ich mochte, dass mich die Sojasauce an Sushi erinnerte. Ja, ich esse auch rohen Fisch. Wie auch schon beim Steak gilt, je roher, desto zarter, desto lieber. Ich habe auch rohe Muscheln gegessen, was möglicherweise gesundheitsgefährdend war. Ich habe die Hoffnung auf Eisbär noch nicht aufgegeben, auch wenn die Zeit mit verbleibenden 9 Tagen langsam knapp wird.
Neben meiner Vorliebe für rohes Fleisch bin ich auch ein Schleckermäulchen. Ich verschlinge Schokolade, gerne auch unmittelbar vor oder nach dem blutigen Fleischgenuss. Meine Geschmacksnerven werden davon nicht negativ gereizt, sondern eher beflügelt. Daher besitze ich auch ein Schokoladenkochbuch, in dem Hasenkeule an Zartbitterschokoladensauce zubereitet wird. Ich muss aber zugeben, dass diese gehobene Art der Verköstigung trotz meiner Lektüre des "Schokoladenkochwettbewerbs" von Siebert in der ZEIT eher selten real stattfindet. Meistens esse ich Schokolade pur. Es gibt dieses Buch "Why French Women don't become fat", in dem die Autorin schildert, wie ihre Mutter ein Stückchen Zartbitterschokolade so sehr genießen konnte, dass ihre sie beobachtenden Kinder ehrfürchtig schwiegen. Ich habe es probiert und es hat die ganze Tafel "roher" Schokolade gedauert, bis ich endlich ruhig war.
Saqiyuq - 7. Jun, 14:41
Inzwischen war ich mit dem Motorschlitten auf dem Meer und in den Bergen, es war unglaublich. die ersten Fusstapfen in frischgefallenem Schnee, nach einer halben Stunde Fahrt kein Mensch, kein Tier weit und breit...die totale Einsamkeit. Ehrfuerchtig stand ich neben einem Inukshuk und habe mich gefragt, wie Menschen noch vor 50 Jahren immerzu auf dem Land gelebt haben, ohne die multimediale Zerstreuung und bequeme Transportmittel.
Der Schnee faellt immer noch, aber gleichzeitig beginnt er rasend schnell von den Bergen herunterzuschmelzen. Ich war schon zweimal in der Tundra und beiden Naturparks der Umgebung wandern. Ich bin die wohl langsamste Wanderin der Welt, daher trifft ein Schlendern besser zu. Klettert man auf einen Gipfel, schaut man oft 'runter auf einen halbgefrorenen Schmelzwassersee, in dem sich Blau- und Gruentoene gegeneinander verlieren. Ich sitze in der Sonne, lasse den Wind durch meine Haare wehen und geniesse Stille.
Saqiyuq - 7. Jun, 11:19
Ich setze mich hier mit der Einsiedlerei sowohl positiv als auch negativ auseinander. Es fuehlt sich komisch an, wieder mit anderen Menschen zusammenzuwohnen. Dass immerzu Menschen um mich herum sind, morgens beim Aufstehen, abends, wenn ich von der Arbeit heimkomme, das ist ungewohnt. Es ist anstrengend, das Bad zu teilen und immerzu Konversation fuehren zu muessen, sei es nur darueber, welches TV Programm nun geschaut wird. In Montreal war ich wohl auch deshalb so ausgeglichen und offen, weil ich meine Rueckzugsmoeglichkeit hatte und die anderen dann gesehen habe, wenn mir danach war und wir uns etwas zu sagen hatten. Das war dann aber auch praktisch rund um die Uhr der Fall, so wirklich erklaeren kann ich mir das nicht, dass ich in meine alte asoziale Ader zurueckfalle und es kaum erwarten kann, ein Zimmer zu finden, in dem ich unabhaengig bin. Vielleicht ist es das, ich habe noch keinen angemessenen Weg gefunden, dankbar zu sein bzw. damit umzugehen, dass mich jemand aufnimmt, aus Freundschaft, aus Verbundenheit zu einem Freund/einer Freundin, aus Gastfreundlichkeit etc. Ich fuehle mich dann unwohl in meiner eigenen Haut und kann nicht wirklich aus mir herausgehen/entspannt sein...
Auf der anderen Seite mag ich Einsiedlerei. Ich kann mir so gut vorstellen, hier mit meinem Schatz zu leben, nur wir beide und irgendwann ein Haufen Kinder...die Natur geniessen, uns, 1 Mio. Buecher und aufzuatmen. Ich mag die Vorstellung, einander genug zu sein. Wenn ich mit ihm zusammen bin, ist es gut, Freunde zu sehen, aber das Wichtigste ist, mit ihm zu sein, zu leben, zu atmen, zu reden.
Am Dienstag ziehe ich um. Ich bekomme einen Raum im NTI Haus, wohne da zusammen mit Maria, die derzeit in irgendwelchen Settlements unterwegs ist. Unmoebliert, das finde ich sehr gut, 5 Wochen im Schlafsack auf meiner Yogamatte, vielleicht wieder ohne TV und zurueck zur Natuer
Saqiyuq - 7. Jun, 11:09
Diese Woche war ich hauptsaechlich mit der Kalkulation der Ueberlebenskosten beschaeftigt. Ich wusste, dass es teuer ist. Aber irgendwo bin ich die naive positive Strahlefrau, die sich denkt, alles wird nur halb so schlimm. Wenn der Burger teuer ist, dann isst man halt etwas ortstypisches, das guenstig ist. Tja, leider ist alles teuer. Ich habe auch noch nicht den Kontakt zu einem Inuk, der am Wochenende jagen geht und mir eine halbe Robbe schenkt. Ab dem 16. habe ich eine Wohnung: 4 Wochen fuer $800. Das ist ortsueblich. Dazu kommt dann noch Essen. Einmal habe ich mich bisher in den Supermarkt getraut und kann ein wenig Preise rezitieren:
1l Orangensaft $3,99
Subway Sandwich $ 18
1l Milch $ 3,19
1 Tuete Chips $5
1 Mars $1,29
1 Dose Tomaten $1,99
400g Cheddar „Kaese“ $7,99
Minimoehren $2,79
12 Paeckchen Quaker Oatmeal $5,99
2l Coke $4,99
1 Dose Erbsensuppe $3,49
20 Beutel schwarzer Tee $4,29
900g Reis $4,49
375g trockene doofe Schokokekes $3,79
1kg Tomaten $10,49
1kg Bananen $5
1 Packung Toast $3,99
500ml Pastasauce $5,49
500g Spaghetti $3,99
Saqiyuq - 7. Jun, 11:08
Es sind nur 15 Minuten Fussweg zur Arbeit. Das Gebaeude ist tatsaechlich dreistoeckig und es gibt einen Aufzug, den ich natuerlich voller Technikhoerigkeit benutze. Derzeit arbeite ich an zwei Projekten, zwei andere liegen in der Warteschleife. Ich schreibe einen Bericht ueber Kulturerziehung in von Ureinwohnern gefuerhten Schulen in entlegenen Gebieten Kanadas, um das dann mit dem Ansatz der Regierung von Nunavut zu vergleichen. Ausserdem durchforste ich Datenbanken nach Artikeln ueber den Einfluss der Wohnungssituation auf Gesundheit, Einkommen, Ausbildung...ich hoffe, ich komme irgendwann ueber das (scholar) Googlen hinaus. Die Leute bei Nunavut Tunngavik Incorporated sind sehr nett, ueberwiegend Inuit, ein interessanter Wechsel zwischen Englisch und Inuktitut. Die Sprache wuerde ich gerne lernen, sie klingt definitiv interessant. Ausserdem finde ich das Schreiben in geometrieartigen Symbolen toll. Ich fuerchte aber, das werde ich in sechs Wochen eher nicht schaffen. Ob das Sprachenzentrum an der FAU Inuktitut Kurse anbietet? Die McGill hat einen Einfuehrungskurs, der gerade hier in Iqaluit am Arctic College laeuft. Meine Arbeitszeiten lassen jedoch genauso wenig wie meine Finanzsituation eine Teilnahme zu.
Saqiyuq - 7. Jun, 11:06
Die Huegel sind immernoch schneebedeckt, auch wenn die Strassen langsam frei werden, Bafffin Bay ist zugefroren. Jeden Morgen, wenn ich das Haus verlasse, kann ich den Huegel hinunter auf die See schauen und die Reflektionen der Sonne beobachten. Riesige schwarze Voegel kraehen (Kraehen?) von den umliegenden Daechern. Das Licht ist gleissend hell, aber meine CC Fake Sonnenbrille reicht zum Glueck, damit ich nicht schneeblind werde. Ich sehe aus, als lebe ich hier, in Renatas Snowboardjacke und ihren Boots, den Fleecepullis...
Ab dem Moment der Landung war ich gluecklich, ruhig, zufrieden. Wuerde mir jemand einen Job anbieten, mit dessen Bezahlung ich mir das Leben hier leisten koennte, wuerde ich es sofort tun. Weil ich eine disziplinierte und gewissenhafte Deutsche bin, muesste alles natuerlich warten, bis ich mein Diplom habe. Dann wuerde ich mir einen Internet-tauglichen Doktorvater suchen, Literatur sammeln und meinen Schatz einpacken, auf nach Iqaluit. Ob es noch ein wenig entlegener sein duerfte, bleibt abzuwarten. Mal schauen, wie gut es mir nach sechs Wochen 5000 Personen Siedlung geht.
Saqiyuq - 7. Jun, 11:04