Iqaluit
Heute Mittag war das Abschied nehmen mit dem Boss, bei Fish and Chips im Frobisher Inn Restaurant. Heute Abend koche ich dann deutsches Abschiedsessen in der WG fuer ein paar Leutchen. Haehnchenschnitzel in Zwiebelsahnesauce mit Kartoffelpueree...deutscher kann ich nicht :-) Es wird auch so hart genug ohne die "Maggi Fix fuer Zwiebelsuppe" - Packung!
In 25 Stunden fliege ich. Alles fuehlt sich komisch an.
Saqiyuq - 14. Jun, 15:15
So langsam werde ich sentimental, mir bleiben auch nur noch 3 Tage in der Arktis. Einerseits faellt mir ein bisschen die Decke auf den Kopf, andererseits "habe ich noch nicht fertig". Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft will ich wiederkommen. Mit dem Kajak im Sommer herumfahren, im Winter mit dem ski-doo auf Tierjagd gehen und die beiden Nationalparks etwas weiter erkundigen. Die Legion habe ich ja auch erfolgreich vermieden, ob es das nachzuholen gilt, bleibt abzuwarten :-)
Am Wochenende bin ich ein bisschen durch die Gegend geschlendert, gelaufen, gewandert. Ganz eindeutig: der Sommer ist da. Irgendwie hat mich Iqaluit an meinen
allerliebsten Freizeitpark erinnert. Der Geruch von
Grillfleisch erinnert, komische Geraetschaften und Baumassnahmen ueberall, waehrend wenige Meter weiter Kinder, die auf eher
nicht so anheimelnden Spielgeraeten herumklettern, waehrend anderswo Menschen mit nackten Oberkoerpern ihr sommerlich kuehles Bier geniessen. Anstelle der Enten und Pferdekarren rennen ueberall planlos Hunde durch die Gegend. Eine seltsame Assoziation, aber so ist das wohl mit altem Bratfett!
Saqiyuq - 13. Jun, 11:58
Mein Buero hat lauter Fenster und vor einem ist die Kueche mit der Gefriertruhe. Das ist praktisch, weil ich so immer mitbekomme, wenn es etwas zu essen gibt :-) Ausserdem muss ich ja eh immer alles probieren, was es an
authentic food gibt. Heute ist mein Magen aber reichlich angeschlagen (Notiz an mich selbst: Nein zu Whiskey-Cola, immer noch und sowieso), so dass das noch halbgefrorene geraeucherte Caribourippchenfleisch eher eine Herausforderung ist. Aber es hilft keine Ausrede, niemand hat Lust zu arbeiten, ich bin zu skinny und habe als unbezahlte, da unbezahlbare :-) Praktikantin nicht genug Geld, um mir anstaendig Essen zu kaufen trotz der guten Deutschmark...runter mit dem Gefrorenen!
Saqiyuq - 10. Jun, 16:19
Heute habe ich zum ersten Mal Kaffee gekocht und das nicht einmal auf der Arbeit. das spricht fuer das Praktikum, wuerde ich sagen...niemand schickt mich zum Kopieren, zur Post oder laesst mich sortieren. Ich habe einen Titel Policy Analyst/Volunteer und sollte auch jetzt gerade aktiv sein...Kaffee habe ich jedenfalls M* gekocht und sogar ans Bett gebracht. Sonst waere sie heute wohl nicht aufgestanden, nachdem sie die ganze Nacht mit ihrem Freund gestritten hat...hui, Beziehungsdiskussionen sind gerade soweit weg von mir...jedenfalls schmeckt mein Kaffee gut. Ich denke, dass dieses Tim Hortons Pulver niemals richtig gut schmecken kann, aber als Nichttrinkerin kann ich mir da kein wirkliches Urteil bilden...T.H. ist laut einer kanadischen Studie uebrigens die bestgefuehrte Marke in Kanada, u.a. deshalb, weil sie in der kanadischen Identitaet verwurzelt ist oder so...was Werbespots doch ausloesen koennen. Ich finde vorgesuessten Cappuccino mit Vanillezucker ja nicht so toll.
Saqiyuq - 8. Jun, 10:43
Nahezu 70% der Nunavummiut (Inuiteinwohner von Nunavut) geben als Muttersprache Inuktitut an.
Ist es da nicht seltsam, dass die frankophonen Einwohner ihre Kinder durchgehend franzoesischsprachig unterrichten lassen koennen (in l'ecole des deux soleils), waehrend Inuktitut in den Schulen des Territoriums nur bis zur dritten Klasse Unterrichtssprache ist, bevor es dann von Englisch abgeloest wird?
Inuktitut ist derzeit eine der wenigen Ureinwohnersprachen Kanadas, die nicht unmittelbar vom Aussterben bedroht ist. Aber wie wird es in 15 Jahren aussehen, wenn die mit englischem Fernsehen und Internet aufgewachsene Generation, das Arbeitsleben betritt? Es scheint zweifelhaft, ob die Vereinbarung, dass 2020 Inuktitut die Arbeitssprache des oeffentlichen Dienstes sein wird bzw. Inuit repraesentativ vertreten sind (Art. 23 des Nunavut Agreements und Inhalt von Pinasuaqtavut/Bathurst Mandate), in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann.
Tunngavik, als die Organisation der Inuit in Nunavut, arbeitet daran, mit der Bundesregierung ueber die Implementation des Vertrages zu verhandeln und bezueglich der Erziehungspolitik der Nunavutregierung zu verdeutlichen, dass kulturell basierte Erziehung und Sprachunterricht finanzierbar und erfolgreich umsetzbar sind.
Und da ist auch schon mein Grossprojekt bei NTI und vielleicht ein Diplomarbeitsthema (Ich weiss, das wechselt und wechselt und wechselt): Ich untersuche Schulsysteme in anderen entlegenen Gebieten Kanadas bezueglich ihrer Bemuehungen, Ureinwohnersprache und -kultur zu erhalten und stelle erfolgreiche Ansaetze dem der Nunavutregierung, der bisher nicht viel enthaelt ausser: zu teuer, Mathe in Inuktitut funktioniert nicht, macht keinen Sinn, da Englisch wichtiger ist, gegenueber. Das wird dann die Basis des NTI-Lobbyings fuer ein neues, angemessenes und erfolgversprechendes Bildungssystem werden.
Saqiyuq - 7. Jun, 16:09
Inzwischen war ich mit dem Motorschlitten auf dem Meer und in den Bergen, es war unglaublich. die ersten Fusstapfen in frischgefallenem Schnee, nach einer halben Stunde Fahrt kein Mensch, kein Tier weit und breit...die totale Einsamkeit. Ehrfuerchtig stand ich neben einem Inukshuk und habe mich gefragt, wie Menschen noch vor 50 Jahren immerzu auf dem Land gelebt haben, ohne die multimediale Zerstreuung und bequeme Transportmittel.
Der Schnee faellt immer noch, aber gleichzeitig beginnt er rasend schnell von den Bergen herunterzuschmelzen. Ich war schon zweimal in der Tundra und beiden Naturparks der Umgebung wandern. Ich bin die wohl langsamste Wanderin der Welt, daher trifft ein Schlendern besser zu. Klettert man auf einen Gipfel, schaut man oft 'runter auf einen halbgefrorenen Schmelzwassersee, in dem sich Blau- und Gruentoene gegeneinander verlieren. Ich sitze in der Sonne, lasse den Wind durch meine Haare wehen und geniesse Stille.
Saqiyuq - 7. Jun, 11:19
Diese Woche war ich hauptsaechlich mit der Kalkulation der Ueberlebenskosten beschaeftigt. Ich wusste, dass es teuer ist. Aber irgendwo bin ich die naive positive Strahlefrau, die sich denkt, alles wird nur halb so schlimm. Wenn der Burger teuer ist, dann isst man halt etwas ortstypisches, das guenstig ist. Tja, leider ist alles teuer. Ich habe auch noch nicht den Kontakt zu einem Inuk, der am Wochenende jagen geht und mir eine halbe Robbe schenkt. Ab dem 16. habe ich eine Wohnung: 4 Wochen fuer $800. Das ist ortsueblich. Dazu kommt dann noch Essen. Einmal habe ich mich bisher in den Supermarkt getraut und kann ein wenig Preise rezitieren:
1l Orangensaft $3,99
Subway Sandwich $ 18
1l Milch $ 3,19
1 Tuete Chips $5
1 Mars $1,29
1 Dose Tomaten $1,99
400g Cheddar „Kaese“ $7,99
Minimoehren $2,79
12 Paeckchen Quaker Oatmeal $5,99
2l Coke $4,99
1 Dose Erbsensuppe $3,49
20 Beutel schwarzer Tee $4,29
900g Reis $4,49
375g trockene doofe Schokokekes $3,79
1kg Tomaten $10,49
1kg Bananen $5
1 Packung Toast $3,99
500ml Pastasauce $5,49
500g Spaghetti $3,99
Saqiyuq - 7. Jun, 11:08
Es sind nur 15 Minuten Fussweg zur Arbeit. Das Gebaeude ist tatsaechlich dreistoeckig und es gibt einen Aufzug, den ich natuerlich voller Technikhoerigkeit benutze. Derzeit arbeite ich an zwei Projekten, zwei andere liegen in der Warteschleife. Ich schreibe einen Bericht ueber Kulturerziehung in von Ureinwohnern gefuerhten Schulen in entlegenen Gebieten Kanadas, um das dann mit dem Ansatz der Regierung von Nunavut zu vergleichen. Ausserdem durchforste ich Datenbanken nach Artikeln ueber den Einfluss der Wohnungssituation auf Gesundheit, Einkommen, Ausbildung...ich hoffe, ich komme irgendwann ueber das (scholar) Googlen hinaus. Die Leute bei Nunavut Tunngavik Incorporated sind sehr nett, ueberwiegend Inuit, ein interessanter Wechsel zwischen Englisch und Inuktitut. Die Sprache wuerde ich gerne lernen, sie klingt definitiv interessant. Ausserdem finde ich das Schreiben in geometrieartigen Symbolen toll. Ich fuerchte aber, das werde ich in sechs Wochen eher nicht schaffen. Ob das Sprachenzentrum an der FAU Inuktitut Kurse anbietet? Die McGill hat einen Einfuehrungskurs, der gerade hier in Iqaluit am Arctic College laeuft. Meine Arbeitszeiten lassen jedoch genauso wenig wie meine Finanzsituation eine Teilnahme zu.
Saqiyuq - 7. Jun, 11:06
Die Huegel sind immernoch schneebedeckt, auch wenn die Strassen langsam frei werden, Bafffin Bay ist zugefroren. Jeden Morgen, wenn ich das Haus verlasse, kann ich den Huegel hinunter auf die See schauen und die Reflektionen der Sonne beobachten. Riesige schwarze Voegel kraehen (Kraehen?) von den umliegenden Daechern. Das Licht ist gleissend hell, aber meine CC Fake Sonnenbrille reicht zum Glueck, damit ich nicht schneeblind werde. Ich sehe aus, als lebe ich hier, in Renatas Snowboardjacke und ihren Boots, den Fleecepullis...
Ab dem Moment der Landung war ich gluecklich, ruhig, zufrieden. Wuerde mir jemand einen Job anbieten, mit dessen Bezahlung ich mir das Leben hier leisten koennte, wuerde ich es sofort tun. Weil ich eine disziplinierte und gewissenhafte Deutsche bin, muesste alles natuerlich warten, bis ich mein Diplom habe. Dann wuerde ich mir einen Internet-tauglichen Doktorvater suchen, Literatur sammeln und meinen Schatz einpacken, auf nach Iqaluit. Ob es noch ein wenig entlegener sein duerfte, bleibt abzuwarten. Mal schauen, wie gut es mir nach sechs Wochen 5000 Personen Siedlung geht.
Saqiyuq - 7. Jun, 11:04